Sehr
geehrte Frau Osswald!
Vielen
Dank für Ihre Bereitschaft an einem Offline - Interview zum
Tschetschenien-Krieg
fuer
die bulgarische Online - Zeitung
http://www.oshte.info teilzunehmen!
1.
Sehr geehrte Frau Osswald,
Sie
sind eine sehr junge Abgeordnete im Deutschen Bundestag
aus
den Reihen der CDU/CSU Fraktion.
Seit
wann sind Sie in der Arbeitsgruppe
für
Menschenrechte und Humanitaere Hilfe taetig, welche
konkrete Aufgaben ueben Sie dort aus, fuer welche
konkrete Engagements in der Tschetschenien-Problematik
sind
Sie bei Ihrer Arbeit verantwortlich?
Im
Ausschuss für Menschenrechte und humanitaere Hilfe bin ich seit
Oktober 2002 taetig - also dem Beginn der 15. Wahlperiode. Dabei
widme ich mich in erster Linie der Lage in Tschetschenien. Ich
plaediere für die Erhaltung der Menschenrechte auf beiden Seiten
des Konfliktes und setze mich, soweit dies von hier aus moeglich
ist, fuer die Verbesserung der Lage der Zivilbevoelkerung ein.
Besonders schlimm ist die Situation für die Kinder. Sie sind durch
jahrelange Kriegshandlungen oft schwer traumatisiert. Hier muessen
wir ansetzen. Wir muessen immer wieder auf den
Tschetschenienkonflikt aufmerksam machen. Ich versuche das auch
außerhalb des Parlaments bei Podiumsdiskussionen und
Veranstaltungen in meinem Wahlkreis zu tun.
2.
Das Thema "Schutz und Freiheit der Menschen-,
Buerger- und Konfessionsrechte" bleibt bis heute, 13
Jahren
nach dem Zerrfall der kommunistischen
Diktatur, in den meisten ehemaligen Ostblock-Laendern
immer
noch sehr selten angesprochen, nicht zuletzt,
weil
es in sich zusaetzliche, unangenehme Themen und
damit
Konflikte beinhaltet und unerwuenscht schwere
oeffentliche Diskussionen hervorrufen koennte.
Sollten nicht, Ihrer Meinung nach, genau diese Fragen
aber
im Mittelpunkt der Umgestaltung der
Gesellschaften im Osten stehen, auf dem Weg zur zivilen,
buergerlichen Gesellschaft dort?
Welche
Rolle spielt ueberhaupt die
christlich-demokratische Ethik und ihr politisches
Selbstverstaendnis in der Definition und in der Loesung von
Problemen bei Menschenrechtsverletzungen?
Die
Einhaltung der Menschenrechte und Anerkennung der menschlichen
Wuerde bilden das Fundament jeder entwickelten demokratischen
Gesellschaft. Osteuropa muss hier erst noch das Vertrauen des
Westens gewinnen. Denn ob wir es wahrhaben wollen oder nicht -
auch 13 Jahre nach dem politischen Wandel im oestlichen Teil
Europas sind uns die meisten dieser Laender sowohl kulturell als
auch politisch noch fremd. Und jedes positive Signal der dortigen
Regierungen in Menschenrechtsfragen ist letztendlich auch ein
Standortfaktor für Investitionen.
3.
Sie haben sich waehrend Ihrer Winterreise in Moskau mit
Vertretern der Regierung, mit tschetschenischen
Vertretern und mit Vertretern der russischen
Buergerinitiativen, die sich gegen
Menschenrechtsverletzungen engagieren, getroffen.
Welche
Eindruecke haben Sie gewonnen, welche Tendenzen
entwickeln sich jetzt in der russischen Politik in
Tschetschenien, was konnten Sie vor Ort feststellen?
Konnten Sie sich mit Opfern und Hinterbliebenen des
Genozids treffen, was haben Sie von den russischen
Menschenrechtsorganisationen und von den
tschetschenischen Vertretern erfahren? Entsprechen der
Realitaet die Bilder, die Russland von der Lage in der
Kaukasusrepublik und von sich selbst der
Weltoeffentlichkeit praesentiert?
Waehrend meiner Moskaureise habe ich mich mit Vertretern des Kreml
und mit Mitgliedern wichtiger Menschenrechtsorganisationen
getroffen. Dabei bekam ich alle Meinungen ueber den Krieg im
Kaukasus zu hoeren - unkritische, ja positive Berichte ueber die
Aktivitaeten einerseits; Horrormeldungen ueber Misshandlungen und
Verschleppungen andererseits. Nur eine objektive „Mittelmeinung“,
die gibt es offensichtlich nicht. Die Befuerworter und Gegner der
gegenwaertigen russischen Politik stehen sich weitestgehend
unversoehnlich gegenueber. Diese Tatsache macht die Suche nach
Auswegen aus einer komplizierten Konfliktsituation sehr schwer.
Immerhin hat der Kreml Menschenrechtsverletzungen zugegeben. Das
empfand ich schon als bemerkenswert.
Wie
sich die Lage in Tschetschenien derzeit vor Ort darstellt kann ich
nicht aus dem Blickwinkel eines Augenzeugen beurteilen, da ich
keine Genehmigung zur Einreise nach Tschetschenien erhalten habe.
Aber man muss wohl davon ausgehen, dass weiterhin schlimmste
Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien begangen werden. Die
Anschläge der jüngsten Zeit zeigen ja mehr als deutlich, dass sich
die Lage in Tschetschenien seit dem Referendum am 23. März in
keinster Weise entspannt hat - eher im Gegenteil.
4.
Wie wuerden Sie die Ergebnisse des so genannten
Referendums für die Verfassung der Tschetschenischen
Republik im Maerz 2003 kommentieren?
Es ist
beachtlich, dass Praesident Putin staendig erklaert, die Lage in
Tschetschenien auf eine friedliche politische Weis loesen zu
wollen. Ich zweifle naemlich stark daran, dass er es ernst meint,
wenn er Methoden anwendet wie das umstrittene Referendum. Die
Legitimitaet des Resultates, das aus diesem Referendum hervorging,
ist durch viele glaubhafte Schilderungen von Menschen vor Ort mehr
als zweifelhaft. Man kann also von einem groß angelegten
Wahlbetrug seitens der Russen ausgehen. So naehren sich freilich
keine Hoffnungen auf eine friedliche Loesung. Die Sicherheit der
Bevoelkerung ist nach wie vor nicht gewaehrleistet, und die
neuesten Berichte über die Zwangsrueckfuehrung der
tschetschenischen Fluechtlinge aus Inguschetien lassen sogar noch
eine weitere Eskalation befürchten.
5. Sehen Sie eine moegliche Rolle Europas und der
UNO
für
die friedliche Loesung des Konflikts als
realistisch und, vor allem - seitens Russlands - als
zulaessig? Unter welchen Umstaenden und mit welchen
Konsequenzen wuerde, Ihrer Meinung nach, Russland
einlenken?
Es
waere wuenschenswert, wenn neutrale Beobachter wieder ins
Kriegsgebiet einreisen koennten, um objektiv von der Situation vor
Ort Bericht zu erstatten. Wir waeren dann auch wieder in der Lage,
eine internationale Druckkulisse aufzubauen. So aber
schaltet und waltet Russland praktisch unter Ausschluss der
Weltoeffentlichkeit. Auch die OSZE muss endlich wieder in
Tschetschenien operieren können. Und eine Praesenz der UNO waere
natuerlich ebenfalls wuenschenswert, aber ich bezweifle, dass
Tschetschenien in New York bald wieder auf der Tagesordnung ganz
oben steht. Nach dem Irakkrieg muss sich die UNO erst einmal
selbst wieder neu sortieren. Und Russland wuerde sich ein
Eingreifen von Blauhelmsoldaten wahrscheinlich ohnehin verbieten.
6.
Denken Sie nicht, dass - in Zusammenhang mit der
Frage
der Menschenrechte in Tschetschenien - auch die
Frage
der Unabhängigkeit der Kaukasusrepublik gestellt
werden
sollte?
Was
halten Sie vom staatlichen russischen Vertrag von
1997,
unterzeichnet in Moskau von Boris Jelzin -
bedeutet er nicht de facto die Anerkennung einer
unabhaengigen Tschetschenischen Republik?
Als
erstes muss eine friedliche und organisierte Lage im Lande
geschaffen werden - und die schafft man nur, wenn die
Menschenrechte eingehalten werden. Im Jahr 1997 wurde zwar der
russisch-tschetschenische Friedensvertrag unterzeichnet, aber
dieser enthielt nur einen vagen Passus ueber den Verzicht auf
Gewalt und eine ebenso vage Aussage ueber gleichberechtigte
Beziehungen zwischen beiden Laendern. Eine eindeutige Auslegung
dieses Vertrages war demnach kaum moeglich, und somit kann auch
nicht genau bestimmt werden, welche Konfliktpartei zumindest
ansatzweise im Sinne des Vertrags gehandelt hat. Es stellt sich
darueber hinaus die Frage, ob angesichts der starken Zerstoerung
Tschetscheniens eine Unabhaengigkeit ohne fremde Hilfe ueberhaupt
moeglich ist.
7.
Wuerden Sie uns mehr ueber Ihre Initiative am 12.05.03
in
Ihrem Wahlkreis in Nuernberg, die Sie zu der Tschetschenien-
Problematik und den Menschenrechtsverletzungen dort organisiert
haben,
berichten? Welches Ziel haben Sie sich gesetzt, wie
hat
die Oeffentlichkeit reagiert, zeigten die Buerger
ueberhaupt Interesse, was konnten Sie als Ergebnis
danach
für sich persoenlich feststellen - was konnten
Sie
erreichen, was waere noch (wuenschenswert) zu tun?
Ziel
war und ist, das Interesse der Oeffentlichkeit und der Medien an
diesem vergessenen Krieg wieder zu wecken. Wir muessen immer und
immer wieder auf diesen Konflikt aufmerksam machen, muessen auf
die katastrophalen Bedingungen für die Menschen dort hinweisen.
Natuerlich interessiert die Deutschen zurzeit eher, was am
Monatsende in ihrem Geldbeutel bleibt und wie teuer die Zigaretten
noch werden. Aber diejenigen, denen ich von den Schilderungen aus
Tschetschenien berichtet habe, waren sehr betroffen. Hier muessen
wir ansetzen. Dieses Land braucht dringend Hilfe.
8.
Welche Botschaft wuerden Sie an die bulgarischen
Buerger senden, die als feste Waehler 13 Jahre lang die
schwere Reformarbeit der sich als christlich-demokratisch
definierten
Union
der Demokratischen Kraefte (UDK) begleiten und
unterstuetzen, an diese Bürger, fuer die die
Begriffe "buergerliche Freiheit" und "Schutz der
Menschenrechte", und die Errichtung eines zivilen
Rechtsstaates nach dem Ende der kommunistischen Diktatur zum
Kernziel der Politik und ihres buergerlichen
Engagements geworden sind?
Welche
Botschaft hinterlassen Sie fuer Ihre jungen,
christlich-demokratischen Kollegen in Bulgarien, die
erst
jetzt diese politische Erfahrung machen werden,
die
die CDU/CSU in der schwierigsten Phase der
Errichtung der BRD gemacht hat - am schweren Anfang der
Errichtung der
demokratischen Staatlichkeit, nach dem Ende der
national-sozialistischen Diktatur und
trotz
allem - mit Erfolg, nach den Prinzipien der
christlich-demokratischen Grundsaetze?
"Freiheit bedeutet Selbstbestimmung, was viel Arbeit jedoch nicht
ausschliesst. Aber diese Arbeit lohnt sich immer!" |