Vom Fegen, Putzen und Wegschließen

© Milen Radev *

Wie tief sitzt diese typisch deutsche Eigenschaft, sich vor dem Gast in bestem Licht präsentieren zu wollen, alles fein säuberlich auszuputzen, blank zu fegen und zu polieren!

Was dabei auf dem Hinterhof passiert – wen interessiert’s schon… (Ähnlichkeiten mit einem Volk, dass früher gern „die Preußen des Balkans“ genannt wurde, sind für mich nicht zu übersehen!).

Ich hab’s noch vor Augen: es war zu Honeckers Zeiten, am Vorabend eines Gorbatschow-Besuchs in Ost-Berlin. In der damaligen Wilhelm-Pieck-Straße (heute, Gott sei Dank, wieder Torstraße) – Scharen emsiger Arbeiter, die Baumstämme weiß tünchten und anstatt aufwendig den Grund in den Baumscheiben-Rechtecken umzugraben, einfach aus LKWs mit Schaufeln eine 2-cm-Erdschicht darüber legten. „Verschönerung“ eben. Auf sozialistische Art…

Seit gestern bietet Berlin ein Bild, wie aus einem Science-Fiction-Film: das Zentrum – fast menschenleer, die Straßen durch Mitte in Richtung Westen abgesperrt und autofrei. Dafür ringsherum – verstopfte weiträumigw Umleitungen, unter der Sonnenglut ächzende und schimpfende Berliner auf dem Weg zu ihrer Arbeit.

Berlins größter und neuester Innenstadtknotenpunkt – der Potsdamer Platz – ist komplett abgesperrt, kein Vogel traut sich darüber hinwegzufliegen, kein Fußgänger oder Radfahrer darf quer hindurch. In einer Nobelherberge am Platze ist nämlich Familie Obama abgestiegen.

Von meinem Balkon sah ich heute früh ein seltenes Bild: dort, wo sonst die Glasscherben und Bierdosen der Touristenscharen (und auch mal ihre Kondome!) tagelang herumliegen, war plötzlich zahlreich orangebekleidetes Fußvolk unterwegs. Mit Handkarren und Greifzangen ausgerüstet, sammelten diese guten Geister jeden Papierschnipsel, jedes verdächtige Krümelchen weg.

Gestern kam mir auf einem Polizeiabschnitt zufällig zu Gehör, wie laut gestöhnt wurde, dass der Gewahrsam langsam aus den Nähten platzt – vor dem ganzen unansehnlichen Volk, das vorsorglich aus dem Straßenbild zeitweilig entfernt werden musste: Junkies, Penner, leise und laute Irre… Berliner Originale eben.

Obama wird also durch eine kulissenhaften Scheinstadt wandeln. Das weckt Erinnerungen an Greifswald 1981 während des Besuchs von Bundeskanzler Schmidt. Heute Nachmittag wird er vor dem Brandenburger Tor reden und, wie das Radio vorauseilend vermutet, „historische Worte an uns alle richten“. Vor einem, wie zu nicht allzu alten Zeiten, luftdicht abgeriegelten Tor, vor einem handverlesenen, „geladenen“ Publikum…

Michael Klonovsky prägte vor einiger Zeit den Begriff der „DDR 2.0“. Damals klang das noch wie eine Beta-Version.

Heute muss man sich fragen, ob wir nicht schon mittendrin im neuen Betriebssystem stecken…


* Milen Radev ist bulgarischstämmiger Deutscher. Er lebt seit 35 Jahren als Übersetzer und Publizist in Berlin.

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